"Am besten ist es, wenn ich nicht genau weiß, wer da malt"

Experimentelle Malerei und Abstraktion
Ein Interview mit Astrid Jaeger

F: Was ist experimentelle Malerei?

Das, was es ist, es steckt schon im Namen drin- und zwar das Experiment. D.h. dass dort experimentiert wird, man probiert etwas aus, man arbeitet mit bestimmten Materialien und schaut, was passiert. Ein Beispiel: die einfachste Form der E.M. ist z.B. ein Blatt Papier zu nehmen, einen Tropfen Tusche auf das Papier fallen zu lassen, das Papier zu falten, zusammenzudrücken, es wieder aufzufalten und zu sehen, was für Formen es gibt, um dann damit weiter zu arbeiten.

F: In der Psychologie heißt das Lüscher-Test.

Stimmt, aber diese Technik ist ideal, um die Kreativität und Phantasie zu wecken und mit dem weiter zu arbeiten, was da entstanden ist. Solch eine einfache Technik wird schon im Kindergarten verwendet, um die Kreativität bei Kindern zu wecken und zu fördern. In der Kunst nennt man das Decalcomanie, was allgemein eher unter der Bezeichnung "Abklatschtechnik" bekannt ist. Dieses Farbabzugsverfahren wurde z.B. von dem Künstler Max Ernst in vielen seiner Werke als Grundlage verwendet. Das Interessante ist: egal welche Art der Technik man auswählt, bei der E.M. kann man zwar zielgerichtet arbeiten, es gibt aber immer einen Überraschungseffekt, also etwas, was man nicht steuern kann. Man muss hier immer auch den Zufall gelten lassen.

F: Wie stellt es sich denn bei Dir da? Du malst mit Acryl, hast eine Leinwand und dann.....

Die Bilder, die ich male, sind abstrakt. Die Formen und Farbwelten, die entstehen kann ich aber größtenteils steuern.

F: Was steuert man und was wird dem Zufall überlassen?

Ja, das ist eine gute Frage! Was kann man steuern? Wenn ich jetzt aus mir heraus ein Bild male, das meine Seele spiegelt, und ich führe den Pinsel, dann steuert meine Seele den Pinsel und es geht in eine bestimmte Richtung, die ich vielleicht oder vielleicht auch überhaupt nicht beeinflussen kann, dann ist alles experimentell. Das ganze Leben ist experimentell - sozusagen. Aber wenn wir davon ausgehen, dass wir diese Sachen eingrenzen, dann gibt es hierbei meiner Meinung nach einen Unterschied. Dies kann man zum Beispiel in den Filmen gut beobachten: Da ist der Beginn eines Bildes: Ich arbeite mit dem Spachtel, nehme zwei Farben und gehe über die Leinwand. Die Richtung kann ich steuern, ich kann der Energie folgen, meiner Intuition, wohin der Spachtel sich bewegen soll. Das kann ich bewusst tun – wie sich die Farben aber auf der Leinwand mischen und welche Strukturen die Bewegungen des Spachtels auf der Leinwand ergeben – das kann ich nicht wirklich steuern, hierbei spielt immer der Zufall eine Rolle. Dies ist das spannende, weil sich hieraus Formen und Strukturen ergeben können, und je nachdem wie ich diese interpretiere, arbeite ich dann weiter. Mit dem Pinsel kann ich dann z.B. gewünschte Formen herausarbeiten. Bei der E. M. ist es so, dass du die verschiedendsten Materialien verwenden kannst und manchmal auch Techniken benutzt, wo du die Form nicht immer wirklich definieren kannst, sondern da ist immer noch ein Faktor dabei, der unberechenbar ist.

F: Warum macht man das?

Diese Unberechenbarkeit erzeugt einen Aha-Effekt, der bei Jugendlichen oder Kindern durchaus willkommen ist wie auch bei Künstlern was die Kreativität erzeugt - oder das, was man gerade versucht herauszukitzeln.

F: Und wie ist das bei Dir?

Bei mir beginnt ein Bild zur Zeit mit dem Spachtel - das ist der Bereich im Aufbau meines Bildes, der experimentell ist. Ich führe zwar den Spachtel, aber in der Überlappung mit zwei unterschiedlichen Farben passieren Farbkombinationen und Strukturen, die ich nicht so bewusst und direkt wie mit dem Pinsel hervorrufen kann, sondern sie passieren und sie werden auch immer wieder anders sein. Ich kann dann so ein Bild auch nie wieder genauso reproduzieren, das geht nicht. Das ist ähnlich wie bei dem "Dripping" oder beim „Action Painting“, was Jackson Pollock gemacht hat mit den Tropfenformen, diese Bilder können wir so genau nie wieder malen.

F: Was geschieht, wenn du vor der leeren Leinwand stehst?

Tja, das ist dann der Moment, da musst du dich überwinden zu beginnen, das ist das schwerste. Deswegen ist es auch schon mal ganz gut, wenn man die Leinwand grundiert in einem anderen Ton, das hilft dann schon mal eher beim Anfangen und ist leichter als vor einer weissen Leinwand zu stehen. Es ist dann schon experimentell, wenn man ohne Konzept oder Vorlage beginnt, -was viele Künstler fasziniert, weil da genau das hier und jetzt angesprochen wird, man hat kein Bild im Kopf, sondern es entsteht, während gemalt wird. Wenn du jetzt ein – eher objektbezogenes- Stillleben hast, dann gibt es eine Vorgabe, auch wenn du es nicht genau so darstellen willst wie eine Fotografie, sondern das nachempfindest, wie du das Objekt, was du betrachtest siehst, wahrnimmst und interpretierst. Wenn du gegenstandslos arbeitest, nur mit Farben oder bestimmten Werkzeugen, da entwickeln sich dann vielleicht Formen, die aber erst mal im Verborgenen bleiben.

F: Ab wann bekommt ein Bild von Dir einen Namen?

Bis jetzt kurz bevor es fertig ist! Bei einem abstrakten Bild, so wie ich es male, ist bis zu einem bestimmten Zeitpunkt noch nicht klar, ob es im Hoch- oder Querformat hängen wird. Ich kann es auch während des Arbeitsprozesses drehen und dann kann sich daraus eine andere Richtung entwickeln. Das ist ganz interessant: wenn man an einem Bild arbeitet und du legst vorher fest, wie das aussehen soll, dann kreierst du einen bestimmten Bildaufbau und legst Dich fest. Drehe ich das Bild z. B. um 90° Grad im Uhrzeigersinn, dann wird mir eine andere Botschaft vermittelt. Gegen den Uhrzeigersinn oder um 180° Grad gedreht bekommt das Bild schon wieder eine andere Qualität. Du siehst dann: so funktioniert es überhaupt nicht oder du sagst: das ist aber sehr interessant: ich geh jetzt in eine andere Richtung, den bisherigen Weg, den ich vorgegeben habe, den löse ich auf, indem ich eine andere Richtung einschlage.

F: Aber du entscheidest doch am Ende, wie ich mir das Bild anschaue, oder?

Nein, das entscheidest Du.

F: Du gestattest auch, wenn man das Bild auf den Kopf stellt?

Das kann ich ja nicht beeinflussen, wie Du das Bild in deinen Räumen aufhängen willst. Mein Bild bekommt für mich persönlich eine bestimmte Richtung, die ich ab einem bestimmten Zeitpunkt festlege. Ich steuere dann gezielter den Aufbau des Bildes und es hat dann auch eine Aussage, die sehr persönlich ist. Aber derjenige, der sich das Bild kauft, kann sich das aufhängen wie er will, darauf habe ich ja keinen Einfluss.

F: Also im Moment weiß ich nicht genau, ob solche Bilder beliebig sind oder einzigartig?

Sie sind nicht beliebig, weil derjenige, der in das Bild eintaucht, dann möglicherweise sieht, dass es tatsächlich nur in meiner Weise hängen kann und es andersherum gar nicht geht. Jeder Künstler hat ja seine eigene Ausdruckskraft, wie er Dinge betrachtet, wie er Dinge sieht und gestaltet. Die meisten Betrachter versuchen, in abstrakten Bildern Dinge zu sehen und wahrzunehmen. Interessant ist, dass ich feststelle, dass andere Leute in meinen Bildern etwas ganz anderes sehen, als für mich da ist.

F: Das ist Dir egal?

Ja, ich finde es eher spannend, was da passiert, wie jemand Sachen sieht und wahrnimmt. Es ist ja auch eine Wahrnehmung, wie sich bestimmte Dinge verändern, ein Bild verändert sich ja auch mit den Lichtverhältnissen - ob das morgens oder abends angeschaut wird, dann hat das Bild eine andere Qualität.

F: Gibt es für Dich ein Ziel beim Malen?

Ja, gut zu sein und alles reinzugeben, was da ist.

F: Und was ist dann alles?

Tja, am besten ist es, wenn ich nicht so ganz genau weiß, wer da malt. Das Bild oder ich. Wer malt wen, was geschieht da in der Interaktion? Das ist etwas, was nicht immer passiert. Wenn es passiert, dann öffnen sich plötzlich Welten, das ist etwas magisches, was da geschieht..

F: Überträgt sich das auf den Betrachter?

Ich glaube ja. Diese Bilder haben eine Tiefe, sie sind rund und in sich abgeschlossen. Das Beachtliche ist: du weißt meistens, wenn das Bild noch nicht fertig ist, wenn es noch nicht gut genug ist, wenn irgendwas in der Harmonie und Spannung des Bildes fehlt, oder wenn etwas dafür sorgt, dass du sagst: Ja, jetzt ist es fertig. Manchmal kann man auch gar nicht sagen, was das ist, und dann muss man es eine Weile zur Seite stellen, der Abstand kann helfen. Vielleicht steht es dann einen Monat oder länger da und es wird nicht weitergemalt, bis dann irgendwann der Prozess weitergeht, kommt immer auf Dich an, wie du in das Bild eintauchen kannst, welche Möglichkeiten du hast, es ist ja nicht jeder Tag gleich.

F: Hängt das von Deiner Grundstimmung ab: wie du geschlafen hast und wie das Wetter ist?

Ja, auch. Kann sein, dass du für bestimmte Bilder harmonisch in Deiner Kraft sein musst. Es gibt andere Prozesse, wo du Arbeitsprozesse vielleicht mit Aggressionen hast, wo du dich an dem Bild abarbeitest, das kann befreiend sein, aber wenn man einen Sprung machen will mit einem Bild, da ist es schon wichtig, dass man gut drauf ist, um über seine Alltagsstimmung hinauszugehen und nicht gefrustet zu sein, weil das kommt natürlich auch manchmal vor.

F: Worin bestehen bei dieser Art der Malerei die Lernprozesse und wie erkennt man sie?

Konzentration ist schon vorher da, das sollte sie zumindest sein. Ich glaube eher an die Komplexität des Bildes. Oder der Lernprozess besteht darin, wie kontinuierlich Du malen kannst und welche Formate du bespielen kannst.

F: Was hat sich denn jetzt für Dich verändert?

Ich habe heute mehr Mut bekommen, mehr in die Vollen zu gehen und mich dem Rausch der Farben hinzugeben.

Interview: Udo Schneider

 

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